In der Dämmerung des düsteren Waldes, als der Mond gerade begann, seine silbrigen Strahlen über die knorrigen Baumkronen zu werfen, regte sich leise etwas in der alten Ruine eines Hauses, das die Leute aus dem Dorf nur das Spukhaus nannten. Eine Fledermaus, die geschickter als ihre Artgenossen durch die Lüfte glitt, hatte sich in diesem geheimnisvollen Gemäuer ihr Zuhause gesucht.
Die meisten Fledermäuse suchten zum Tagesanbruch die Dunkelheit von Höhlen auf, aber unsere kleine Heldin, die wir Eine nennen wollten, genoss die Abgeschiedenheit des alten Hauses. Ihre großen Ohren waren stets gespitzt, um die Geschichten zu lauschen, die dieses Haus zu erzählen hatte. Die Menschen fürchteten diesen Ort, doch für Eine war es ein Paradies voller Geschichten und Abenteuer.
— Psst! Seid ihr wach? — flüsterte eine Stimme nahe Eines Schlafplatzes. Unser Held zuckte und schüttelte das Kondenswasser vom Pelz, das von den morschen Balken des Dachstuhls in der Kälte der Nacht herabgetropft war.
— Natürlich bin ich wach, — erwiderte Eine munter, — wer stört denn meine Morgenruhe, bevor die Nacht ganz verflogen ist?
— Entschuldige, es ist nur … ich hörte Geräusche. Seltsame Geräusche aus dem Keller, — erklärte eine kleine Spitzmaus, deren Augen im schwachen Mondlicht aufblitzten.
Eine richtete sich auf, neugierig und aufgeregt zugleich. Eine Spur von Angst war in Eines Herzen nicht zu finden, sondern vielmehr die prickelnde Vorfreude auf etwas Ungewöhnliches, das den müden Alltag durchbrechen würde.
— Zeige mir den Weg, — sagte Eine ohne zu zögern und entfaltete die Flügel.
Sie folgten dem schmalen Gang, vorbei an verstaubten Gemälden, die von einer längst vergessenen Zeit zeugten. Die Maus und die Fledermaus erreichten schließlich eine altersschwache Tür, die angelehnt war und hinter der das Rumpeln und Poltern zu vernehmen war.
Vorsichtig schoben sie die Tür auf. Eine tiefe Dunkelheit schluckte beinahe das wenige Licht, das der Mond durch die zerbrochenen Fenster warf. Die Maus zitterte, doch Eine stützte ihren Freund mit einer beruhigenden Flügelschlag.
— Wir sollten nachsehen, woher diese Geräusche stammen, — schlug Eine vor, und sie schwebte voran in den dunklen Abgrund des Kellers.
Das Poltern wurde zu einem rhythmisches Klopfen, und als sie den Grund des Treppenabganges erreichten, enthüllte sich ihnen die Ursache. Ein alter Webstuhl stand dort, als wäre er soeben erst verlassen worden. Der Webstuhl schien zu arbeiten, Fäden zogen sich hierhin und dorthin, webten ein Muster, dass keines Menschen Hand gefertigt haben konnte.
— Wer setzt diesen Webstuhl in Gang? — wunderte sich die Spitzmaus mit einem Anflug von Furcht in der Stimme.
— Ich sehe niemanden, aber die Maschine arbeitet ohne Unterlass, als wäre sie verzaubert, — stellte Eine fest und klang dabei eher fasziniert denn ängstlich.
Eine näherte sich dem Webstuhl und bemerkte, dass die Fäden schillerten wie Mondlicht auf einem See. Von einer solchen Farbe hatte sie noch nie etwas gesehen oder gehört. Plötzlich hörte das Klopfen auf, und die Stille war so greifbar, dass man hätte meinen können, sie würde das ganze Haus erfüllen.
— Was sollen wir tun? — fragte die Maus, die sich näher an Ihre Freundin drängte.
— Ich glaube, wir müssen denjenigen suchen, der für dieses Rätsel verantwortlich ist, — schlug Eine vor.
Gemeinsam durchstreiften Sie fortan die unzähligen Winkel und Nischen des Spukhauses, immer auf der Suche nach Hinweisen. Der Tag verging und mit ihm viele gemeinsame Stunden voller Mutproben und Entdeckungen. Sie fanden viel Seltsames und faszinierendes, doch den Weber ihrer magischen Decke suchten sie vergeblich.
Erschöpft, aber nicht entmutigt, kehrten sie zum Webstuhl im Keller zurück, nicht ahnend, dass die Nacht eine besondere Wendung mit sich bringen sollte. Sie legten sich auf die noch warmen, weichen Fäden des Webstuhls, der wie ein Versprechen des Nahenden Rätsels flüsterte.
Kaum hatten sie die Augen geschlossen, begann das Klopfen und Hämmern erneut, der Webstuhl nahm seine Tätigkeit erneut auf und beinahe wie in Trance, wachten die Zwei wieder auf, um einem Schimmernden Licht zu folgen, das aus den Tiefen des Hauses zu dringen schien.
— Es ist so hell, es blendet! — rief die Spitzmaus und schützte mit den Pfötchen die Augen.
Eine spürte, wie ihr Pelz von der Wärme des Lichtes gestreichelt wurde, und sie erkannte, dass es kein natürliches Licht war, sondern das Leuchten der Antworten, nach denen sie gesucht hatten.
Schließlich begegneten sie dem Gespenst der altehrwürdigen Ruine, einem freundlich gesinnten Schattenwesen mit einem Mantel so fein gewoben, wie das Tuch, das sie im Keller gefunden hatten. Mit einem Lächeln, das alle Ängste besänftigte, begrüßte das Gespenst die ungleichen Freunde.
— Willkommen, ihr mutigen Seelen, — raunte der Schatten, seine Stimme so leise wie die Flügel eines Schmetterlings.
— Du bist also der Weber dieses Wunderwerks? — fragte Eine erstaunt.
— Ja, ich bin der Hüter dieses Hauses und ich webe die Träume und Hoffnungen derer, die hier Schutz suchen, zu einem Zauber, der sie vor Bedrohung behütet, — erklärte das Gespenst und seine Gestalt schien bei jedem Wort klarer zu werden.
In dieser Nacht noch teilten Sie Geschichten und Träume miteinander, und das Band der Freundschaft zwischen Fledermaus, Maus und Gespenst knüpfte sich so fest wie die verzauberten Fäden des Webstuhls.
Fortan herrschte in dem Spukhaus nicht mehr Furcht und Schrecken, sondern ein Zusammenhalt, der jedem Besucher Wärme und Sicherheit gab. Eine hatte ihre Bestimmung gefunden als Erzählerin der vielen wundersamen Geschichten, die das Haus in seinen alten Steinen barg, und die Spitzmaus fand im Webstuhl stets einen behaglichen Ort, um seinen Freund, das freundliche Gespenst, bei seiner ewigen Aufgabe zu unterstützen.
Die gemeinsamen Abenteuer der drei waren von nun an gefüllt mit Neugier, Freude und der Magie von Freundschaft, die so lebendig war wie das Muster des magischen Webstuhls, der unter dem Schutz eines stets wachsamen kleinen Helden stand.