In dem tiefen, dämmerigen Wald, wo die Bäume wie grüne Riesen in den Himmel wuchsen und die Blätter leise das Lied des Windes sangen, lebte ein neugieriger kleiner Igel namens Ein. Ein hatte stets einen wachen Blick in seinen leuchtenden Augäpfeln und eine warme, bräunlich-goldene Stachelpracht, die unter der Sonne funkelte. Er war bekannt für seine Abenteuerlust und den Drang, die Welt außerhalb seiner vertrauten Hecken und Buschlandschaften zu erkunden.
Es war an einem besonders Sternen funkelnden Abend, als Ein einen geheimnisvollen Pfiff hörte. Das Geräusch kam nicht von einem Tier, sondern von Einem Zug, der langsamen, aber bestimmten Schrittes auf silbernen Schienen dahinglitt. Ohne zu zögern, beschloss Ein, seine kleine Schnauze und die scharfen Pfoten in die Welt des Ratternden und Sausenden zu tauchen.
Der Zug war ein altes, ehrwürdiges Gefährt, dessen Wagen aus poliertem Holz und schimmernden Fenstern bestanden. Ein schlüpfte geschickt hinein und fand sich in einem langen Korridor wieder, von dem aus verschiedene Abteile abgingen. Fasziniert schnüffelte und erkundete er jeden Winkel, bis ein besonders harmonischer Klang sein Herz höher schlagen ließ.
— Was könnte dieses wundervolle Geräusch bloß sein? fragte sich Ein, dessen Ohr nun an einer leicht geöffneten Abteiltür klebte.
Vorsichtig drückte er seine kleine Nase gegen die Tür, die einen Spaltbreit aufging. Zu seiner großen Überraschung fand Ein ein prächtiges Klavier im Zimmer, auf dem eine Melodie zum Leben erwachte, die so lieblich und klar war, dass sie selbst die Sterne zum Tanzen gebracht hätte.
— Wer spielt nur so zauberhaft? dachte Ein, der bisher nicht wusste, dass Musik so ein Zauberwerk vollbringen konnte.
Während er noch in Gedanken war, trat eine Gestalt ins Licht. Es war Ein Jäger, jedoch nicht von der Sorte, die Ein aus seinen Waldmärchen kannte. Dieser Jäger trug keinen Hut mit Federn oder einen dunklen Mantel. Stattdessen sah er aus, als würde er eher Melodien jagen, als Wild durch den Wald zu verfolgen.
— Ein wahrhaftig seltsamer Anblick! murmelte Ein, der noch nie zuvor einen musizierenden Jäger gesehen hatte.
Der Jäger spielte mit geschlossenen Augen, seine Finger tanzten sanft über die weißen und schwarzen Tasten. Erst als die Musik verklungen war, bemerkte er den kleinen Igel, der staunend im Türrahmen stand.
— Hoppla! Wer bist du denn, kleiner Reisender? fragte der Jäger mit einem Lächeln, das im Kerzenlicht seine sanftmütige Natur erahnen ließ.
— Ich bin Ein und ich… ich habe noch nie so etwas Herrliches gehört! stammtelte Ein und trat näher an das Klavier heran.
— Nun, dann ist es höchste Zeit, dass du mehr von dieser Welt erfährst. Ich bin unterwegs zu einem Konzert, um den Menschen mit meiner Musik Freude zu bereiten, erklärte der Jäger und strich liebevoll über das Klavier.
— Ein Konzert? fragte Ein, dessen Gedanken nur so rasend schnell um die neuen Möglichkeiten der Musik kreisten.
— Ja, ein Konzert. Menschen kommen von nah und fern, um der Musik zu lauschen und für einen Moment ihren Sorgen zu entfliehen, sagte der Jäger.
— Oh, darf ich denn mitkommen? Die Musik… sie spricht zu mir! sagte Ein, dessen Augen vor Aufregung glänzten.
Der Jäger lächelte und nickte. — Aber natürlich, kleiner Freund. Doch zuvor möchte ich dir etwas beibringen.
Und so geschah es, dass der Jäger dem kleinen Igel die Grundlagen der Musik beibrachte. Er erklärte ihm die Tasten und wie sie zusammenkamen, um Harmonie zu erschaffen. Er zeigte Ein, wie er mit seinen kleinen Pfoten einfache Melodien spielen konnte, während der Zug durch die Nacht fuhr und ihr kleines Abteil mit Musik füllte.
Wochen zogen ins Land, während Ein und der Jäger gemeinsam durch die Länder reisten und ihre Musik teilten. Sie spielten in großen Sälen und winzigen Dörfern, unter freiem Himmel und in gemütlichen Stuben. Jeder Ton, den Ein auf dem Klavier spielte, war eine weitere Seite in seinem Abenteuerbuch, jede Melodie ein neuer Freund, den er auf seiner Reise gewann.
Durch die Musik hatten Ein und der Jäger eine Sprache gefunden, die mehr sagte, als Worte je könnten. Sie hatte sie zusammengebracht und würde sie für immer verbinden. Und obwohl Ein manchmal Heimweh nach seinem Wald verspürte, wusste er, dass seine Reise auf den Schienen des Zuges genau dort hinführte, wo sein Herz hingehörte – in die Welt der Klänge, der Harmonie und des gemeinsamen Erlebens von etwas Wahrhaftigem und Schönem.