In der Stadt, die niemals schlief, gab es ein Museum, in dem die Wächter der Nacht Geschichten aus der Vergangenheit flüsterten. Sie sprachen von fernen Ländern, heldenhaften Kämpfen und Märchen, die so alt waren, dass selbst die Sterne sie kaum erinnern konnten. Während sich der Mond hinter wolkigen Schleiern zur Ruhe legte und die Sonne sich anschickte, die Welt mit ihrem warmen Licht zu erfüllen, brach in einem versteckten Winkel des Museums ein Zauber aus.
Mit einem leisen Zischen öffnete sich der Rahmen eines alten Gemäldes wie die Tür zu einer anderen Welt, und heraus trat ein Wesen von stattlicher Gestalt, dessen Augen im schwachen Licht der Dämmerung glänzten. Sein Name war Lupo, ein Werwolf, der mehr Freundlichkeit in seinem pelzigen Herzen trug, als man von seiner spektakulären Erscheinung erwartet hätte.
Lupo streckte sich gründlich und blickte sich neugierig um. Er war hier, um das Geheimnis zu lüften, das in einer alten Sage versteckt war – das Rätsel des Mondsteins, das nur bei Mondlicht sein wahres Wesen enthüllte. Doch bevor er auch nur einen Pfotenabdruck vorwärts setzte, vernahm er das Klirren von Kettenrüstung und das leise Poltern von Schritten. Er duckte sich hinter eine große Vitrine, in der kunstvoll verzierte Waffen aus längst vergangenen Zeiten ruhten.
— Wer schleichet da durch Corridore so sacht, sprach eine keuchende Stimme, die Wachsamkeit und gleichsam Abenteuergeist versprühte. Ein strahlender Ritter trat aus dem Schatten hervor. Sein metallenes Gewand schimmerte fahl im Licht, das nun durch die Fenster brach. Sein Name war Sir Leonhart, ein Zeitreisender, der in unzähligen Kämpfen seine Stärke und seinen Mut unter Beweis gestellt hatte.
— Es ist nur ein Freund, der im Dunkeln wandelt, erwiderte Lupo und trat aus seinem Versteck. Seine Stimme war tief und ruhig und trug einen Hauch von Mysterium in sich.
Von einem Moment der Überraschung getroffen, maß Sir Leonhart den Werwolf von Kopf bis Fuß. — Ein Werwolf und zugleich ein Freund? Das ist wohl ein Wunder so selten wie der Mond am Tage.
— Ein Wunder ist es, was uns heute Nacht zusammenführt, erklärte Lupo. Sucht Ihr auch den Mondstein, den Träger alter Weisheit und Verbündeter der Nacht?
— Bei meinem Schwur, ich suche ihn. Doch was führt Euch zur selben Mission, edler Werwolf?
Lupo hob seinen Pelzigen Kopf und seine Augen funkelten voller Entschlossenheit. — Der Mondstein birgt das Geheimnis meiner Bestimmung, das zu entschlüsseln ich hierherkam.
— So lasst uns vereinen unsere Kräfte und suchen gemeinsam, verkündete Sir Leonhart mit einem Lächeln, das auch den dunkelsten Raum erhellen konnte.
Zusammen durchquerten sie die Hallen des Museums, vorbei an lebhaften Gemälden und Skulpturen, die Geschichten aus vergangenen Zeiten erzählten. Ihre Schritte waren wie Tanzschritte zwischen den Ausstellungsstücken, einer leitete, der andere folgte, beide getrieben von derselben Sehnsucht nach Erkenntnis.
Sie kamen zu einem Saal, in dem ein großer Mond voll goldenen Scheins an der Decke prangte. Es war der Saal des Mondlichts, in welchem Legenden zufolge der Mondstein bei Vollmond sein Antlitz zeigen würde.
— Siehe, der Saal, in dem der Stein sein Geheimnis offenbart, flüsterte Lupo und seine Pfoten berührten den kalten Boden kaum.
— So warten wir auf den Strahl des Mondes, und sehen, was er uns bringt, antwortete Sir Leonhart.
Sie verharrten im Saal, lauschten der Stille, sprachen von vergangenen Zeiten, tauschten Geschichten aus ihren Welten aus, und banden ein unsichtbares Band der Freundschaft, das nur das Herz sehen konnte.
Als der Mond in seiner vollen Pracht an den Himmel stieg und sein Licht durch die Fenster hereinströmte, offenbarte sich ihm ein funkelnder Kristall inmitten des Raumes. Der Mondstein war kein einfacher Stein – er leuchtete in allen erdenklichen Farben und schien zu singen, ein sanftes Lied der Nacht.
— Bist Du bereit, das Rätsel zu lösen und die Weisheit zu erlangen? fragte Sir Leonhart, dem Staunen in den Augen.
— Ich bin es, gab Lupo mit fester Stimme zurück.
— Dann sprich die Worte, die das Tor öffnen:
Lupo trat vor und blickte den Mondstein an. Der Kristall schien zu summen, als ob er Lupos Gegenwart erkannte. Mit einer innigen Hoffnung in der Brust sprach Lupo:
— Im Namen des Mondes, der über uns allen wacht, offenbare mir die Wahrheit, die tief verborgen in der Dunkelheit schlummert.
Ein leiser Windhauch fuhr durch den Saal, und der Mondstein begann sanft zu pulsieren, als er die Worte hörte. Mit einem Mal fiel ein Strahl Mondlicht auf den Stein und ließ ihn in einem unvergleichlichen Glanz erstrahlen. Der Stein schwebte aufwärts, sich drehend und wendend, und mit ihm wuchs das Rätsel zu seiner Antwort.
Die Wand des Museums begann sich zu bewegen, ein Geheimfach öffnend, aus welchem ein altes Buch herausfiel. Es war das Buch der Mondwege, das Lupo die Reise durch die Zeit und die Geschichte seiner Art offenbarte.
— Nun sei es an Euch, Eure Bestimmung zu leben und den Pfad zu gehen, den der Mondstein Euch weist, lächelte Sir Leonhart.
Mit einem Gefühl von Dankbarkeit nahm Lupo das Buch. Es war mehr als Papier und Tinte; es war ein Versprechen, ein Abenteuer, das vor ihm lag und ihn rufen würde, wenn die Zeit reif war.
Als die ersten Strahlen der Sonne den Saal erreichten, war der Stein wieder an seinem Platz und die Zeit des Zaubers vorbei. Lupo und Sir Leonhart versprachen, ihre Wege wieder kreuzen zu lassen, im Labyrinth der Zeiten oder in einer anderen Nacht voller Mondlicht.
Und während Lupo in das Gemälde zurückschritt, sein Herz erfüllt von neuem Mut und ewigem Wissen, wusste er, dass das Wunder des Museums ihn für immer verändern würde.
Und so lebten Lupo, der Werwolf, und Sir Leonhart, der Ritter, fort, getrennt durch Welten und Zeiten, verbunden durch ein Abenteuer, das ihnen Freundschaft und Erkenntnis gebracht hatte, während das Museum die Stille bewahrte, bis sie das nächste Mal erneut erwachen würde.